Unzumutbare Verhältnisse bei der Leichtathletikweltmeisterschaft in Doha/Katar
Deutsche Geher kämpfen sich vom Dunkeln ins Rampenlicht
50 Kilometer Gehen mitten in der Nacht und bei Temperaturen von über 30 Grad C und eine Luftfeuchtigkeit von mehr als 75%!
Bedingungen, die sogar den Titelverteidiger zur Aufgabe gezwungen haben.
Das medizinische Team des Deutschen Leichtathletikverbandes hatte alle Hände voll zu tun und musste letztendlich Nathaniel Seiler mit über 40 Grad C Körpertemperatur aus dem Rennen nehmen.
Die deutschen Geher haben am Samstag ein Musterbeispiel für Kampfgeist und Willenskraft abgeliefert. Am Ende einer Hitzeschlacht bei Nacht gelang Carl Dohmann mit Platz sieben ein Weltklasse-Resultat. Ebenso wie seine Mitstreiter Jonathan Hilbert und Nathaniel Seiler sammelte er wichtige Erfahrungen für die nächste Hitze-Herausforderung bei den Olympischen Spielen in Tokio.
„Von diesem Wettkampf wird man noch in zehn Jahren reden“, prophezeite Carl Dohmann (SCL Heel Baden-Baden), nachdem er am Sonntagvormittag im Anschluss an seinen „Geh-Marathon“ über 50 Kilometer wenigstens ein paar Stunden im Bett verbracht hatte.
Die Bedingungen, die Atmosphäre, aber auch die Ergebnisse des Wettbewerbs, der am Samstag um 23:30 Uhr gestartet wurde, waren in der Tat denkwürdig. Noch Stunden nach dem Wettkampf war Carl Dohmann gezeichnet. Als die Menschen in Doha (Katar) ins Bett gingen, machten sich die Geher auf die Strecke. Die Temperatur lag bei 32 Grad C, die Luftfeuchtigkeit bei 75 Prozent, die Strecke taghell beleuchtet und doch: Es war ein Wettkampf in der Nacht. Ungewohnt für diese Ausdauersportler.
Der 29-Jährige, der im Alter von neun Jahren aus dem Ruhrgebiet nach Baden-Baden gekommen war und in Freiburg Geschichte und Volkswirtschaft studierte, steuerte seine Taktik mittels Pulsmesser am Handgelenk. Auf dem Kopf die neue Eismütze, die eine dauerhafte Kühlung im Nacken garantierte. Und dann: Wasser, Wasser, Wasser aufnehmen. Schon im Vorjahr hatte Carl Dohmann bei der EM in Berlin als Fünfter ein starkes Ergebnis abgeliefert, jetzt sagte er zurecht „Der siebte Platz von Doha ist mein Karrierehöhepunkt.“
Glanzleistung in Sachen Willenskraft
Das dreiköpfige DLV-Team mit Dohmann, Nathaniel Seiler (TV Bühlertal) und Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie) wartete mit einer Glanzleistung in Sachen Willenskraft und Durchhaltevermögen auf. „Wir waren bestens auf diese Bedingungen vorbereitet“, sagte Jonathan Hilbert am Nachmittag im Rahmen der DLV-Pressekonferenz, er war als 23. ins Ziel gekommen.
An der Kritik an den Titelkämpfen wollten sich die drei deutschen Geher nicht beteiligen. Jammern über die ungewohnten Rahmenbedingungen helfe nichts, da waren sie sich einig. Vielmehr müsse man die richtige Einstellung an den Tag beziehungsweise in die Nacht legen.
Rennen „extrem hart“
Fast die Hälfte der Teilnehmer war in der Nacht von Samstag auf Sonntag frühzeitig ausgeschieden, Olympiasieger und Weltmeister nicht ins Ziel gekommen. „Ich glaube, wir haben mit unserem Einsatz und unseren Leistungen dennoch Werbung für den Gehersport betrieben“, sagte ein sichtlich zufriedener Carl Dohmann. Er hatte sich im Verlauf des Wettkampfes mit einer klugen Renneinteilung von Platz 15 über Platz 13 schließlich bis auf Platz sieben vorgekämpft.
„Wer hier zu schnell angeht, ist verloren“, diese Marschroute bewährte sich für die Mehrzahl der DLV-Teilnehmer. Nur einer kam nicht ins Ziel – auch wenn er bis zur Erschöpfung dafür kämpfte. „Das Rennen war extrem hart“, fasste Nathaniel Seiler seine denkwürdigsten Geher-Stunden zusammen. Ab Kilometer 20 verspürte er Krämpfe, quälte sich bis rund fünf Kilometer vor dem Ziel und wurde dann vom DLV-Ärzteteam aus dem Wettbewerb genommen.
Langsamster Weltmeister aller Zeiten
Am Ende wurde der Weltmeister-Titel mit einer Siegerzeit von 4:04:20 Stunden und damit mit der langsamsten Zeit der WM-Geschichte vergeben. An Bestzeiten war nie zu denken. Und auch nicht an eine schnelle Bettruhe im Anschluss – für die deutschen Geher war es die kürzeste Nacht ihres Lebens. „Um 3:40 Uhr bin ich durchs Ziel, dann Dopingkontrolle, um 6:40 Uhr bin ich ins Hotel gekommen. Duschen, und dann, nein – nicht ins Bett! Wir haben danach gefrühstückt und sind dann schlafen gegangen“, lässt Dohmann die denkwürdige WM-Nacht Revue passieren.
Für Rückblicke bleibt nur kurz Zeit, längst ist der Blick schon weit voraus geworfen: von Doha nach Tokio. Startzeit beim Olympischen Wettbewerb im 50 Kilometer Gehen: 5:40 Uhr. Auch sehr ungewöhnlich. Die Luftfeuchtigkeit soll in Tokio sogar noch höher sein als am Persischen Golf. „Doha hat uns die Erkenntnisse geliefert für Tokio“, blickt Dohmann in den kommenden Sommer. Eine gute Form, eine gute Kühlung und die richtige Einstellung sind dafür notwendig. Dass sie darauf bauen können, haben die deutschen Geher eindrucksvoll bewiesen. Sie sind in der Nacht von Doha aus dem Schatten getreten und haben sich viel Anerkennung verschafft.